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Ist das Glas halbvoll oder halbleer? Vortrag und Diskussion mit Dr. Cornelius und Anna Pieper in Marienau

Mit dieser Frage eröffnete Dr. Cornelius Pieper die Abendveranstaltung mit Schüler*innen der Klassen 9-12: „Der Klimawandel findet jetzt statt, und wir müssen Antworten darauf finden, was wir tun können, um den Planeten für unsere Zukunft zu erhalten.“


Auf der „Halbleer-Seite“ stehen Zahlen wie die Daily Sea Surface Temperature, deren Verlauf über die Jahre zeigt, dass die Meere wärmer werden. Die Grafiken zu den weltweiten CO2-Emissionen verdeutlichen, dass wir sie jetzt sofort zum Fallen bringen müssen, um nur in die Nähe des +2°C - Ziels der Erderwärmung zu kommen. Wesentliche Quellen für die Emissionen sind die Verstromung von Kohle und Gas, die Industrie, Transport, Landwirtschaft Gebäude und sonstige Bereiche. Mit anderen Worten, Dekarbonisierung ist das Motto der Stunde und thematisches Zuhause für Dr. Pieper.

Dr. Cornelius Pieper ist Senior Partner bei der Boston Consulting Group (BCG), seit viereinhalb Jahren lebt er in Boston. Er war Schüler am United World College (UWC) in Wales. Die United World Colleges bilden ein weltweites Netzwerk von Internatsschulen, das von Kurt Hahn gegründet wurde. Anschließend studierte er Geographie in Bonn und im schwedischen Lund. Für seine Promotion kehrte er zurück an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, bevor er 2004 zur BCG ging. „Am Anfang habe ich mich gefragt, ob ich da als Geograph richtig bin. Jetzt, 20 Jahre später, kann ich die Frage mit ja beantworten. Es geht darum, wirtschaftlichen Erfolg und Nachhaltigkeit zu verbinden.“ Er arbeitet mit verschiedenen Branchen zu den Themen Nachhaltigkeit, Dekarbonisierung, grünes Wachstum, neue Technologien und Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft. Er ist darüber hinaus regelmäßiger Teilnehmer und Referent beim Weltklimagipfel.

Auf der „Halbvoll-Seite“ stehen dem gegenüber Technologien, die sich viel schneller entwickeln als ursprünglich prognostiziert. „Wer kann sich noch an die Glühbirne erinnern?“, fragt Dr. Pieper ins Plenum. Die flächendeckende Einführung von LED hat die Glühbirne verdrängt, sie emittiert weniger Wärme und verbraucht nur 10 % der Energie, die eine herkömmliche Glühbirne braucht, um dieselbe Leistung zu erbringen. Elektromobilität und Photovoltaik zur Nutzung von Solarenergie sind weitere Beispiele. Weltweit steigt außerdem die Anzahl von Gesetzen, die das Klima schützen und verbessern.

Don’t let the perfect be the enemy of the good

Viele der gezeigten Kurven zeigen einen steilen Anstieg und stemmen sich dem „Halbleer-Gefühl“ entgegen: „Und auch wenn man das Gefühl hat, es müsste noch mehr und noch schneller voran gehen – es gibt viele gute Entwicklungen. Und auch wenn einiges noch längst nicht perfekt ist, wir entwickeln uns weiter und fangen einfach an.“ Die große Aufgabe bestehe in den kommenden Jahren, die Energiewende wirklich umzusetzen. Aktuell schätzen Experten, dass ca. 7 Millionen Arbeitskräfte weltweit dafür fehlen bzw. nicht dort sind, wo sie gebraucht werden. Ein Mismatch hinsichtlich der räumlichen und zeitlichen Kapazitäten und der vorhandenen Fähigkeiten. Doch er ist zuversichtlich und möchte auch die Marienauer*innen ermuntern, sich für das Schließen dieser Lücke zu engagieren.

Das ECO-Profil stellt die Frage „Wie wollen wir leben?“ und richtet damit den Blick in die Zukunft, nachhaltig und verbindlich.

Mit diesem Ansatz passt Dr. Pieper hervorragend zum ECO – Profil in Marienau. ECO steht als Profil in der Oberstufe zur Wahl und verknüpft die Fächer Erdkunde, Politik/Wirtschaft und Biologie verbindlich miteinander. Der Name leitet sich ab aus den englischen Begriffen „ecology“ und „economics“.

Das ECO Profil ist eine Antwort auf die intensive Auseinandersetzung der Jugendlichen mit dem Klimawandel und den Themen unserer Zeit. Zugleich rekurriert es auf die Tradition Marienaus, individuelles und selbstständiges Lernen zu ermöglichen, und auf die sozialen und ökologischen Werte, die Marienau als UNESCO-Schule mitbringt.

Besuche vor Ort, Einbindung von Expert*innen und vor allem die fächerübergreifende Arbeit machen das Oberstufenprofil einzigartig. Deshalb war uns eine große Freude, dass Dr. Cornelius Pieper in Begleitung seiner Tochter Anna nach Marienau kam.

Anna Pieper war ebenfalls Schülerin eines UWC, allerdings in Thailand. Ihre Schule lag auf der Insel Phuket, vielen als Urlaubsziel bekannt. Dort hinterließ der Tsunami im Jahr 2004 besonders große Schäden. In Thailand entstand ein Bewusstsein dafür, dass die Mangrovenwälder entlang der Küste eine wichtige Barriere sind und die Entstehung großer Wellen bremsen oder verhindern können. Jahrzehntelang hatte man diese Wälder entfernt, um mehr Platz für Strände und andere touristische Angebote zu schaffen. In ihrer Schulzeit beteiligten sich die Schüler*innen des UWC an der Wiederaufforstung und brachten Mangrovensamen aus, um die Mangrovenwälder wiederherzustellen. „Das war für mich die erste, ganz konkrete Gelegenheit, etwas zu tun, mich ganz direkt für das Klima einzusetzen.“

Viele Bereiche haben mit der Umwelt zu tun – welcher ist deine Nische?

Und das ist auch der Fokus ihres Parts an diesem Abend: Sie möchte die Marienauer Schüler*innen sensibilisieren für die Möglichkeiten, die sich Ihnen bieten. Bildungsarbeit, Umweltwissenschaften, Umweltrecht, Energiewirtschaft und Naturschutz sind nur einige Bereiche. Während ihrer Schulzeit und ihres Studiums der Umweltwissenschaften in Montreal/Kanada waren es vor allem Projekte und Bildungsangebote außerhalb des Curriculums, die besonders inspirierend waren: „Macht unterschiedliche Praktika, engagiert euch in Projekten und findet auf diese Weise heraus, was für euch die passende Form ist, euren Teil beizusteuern. Die eine Person ist besser in einem Studium aufgehoben, die andere eher in einer Ausbildung oder vielleicht in einem dualen Ausbildungsweg – egal, für was man sich entscheidet, der nachhaltige Umgang mit den begrenzten Ressourcen, die die Erde hat, ist die Grundlage für unsere Zukunft.“

In der anschließenden Diskussion beteiligen sich Schüler*innen und Mitarbeiter*innen rege und teilten ihre Gedanken zum Thema mit. Auf die Frage von Cornelia von Ilsemann, was Schule den Lernenden vermitteln sollte oder was Schüler*innen idealerweise lernen sollen und wollen, antwortete Anna stellvertretend: „Wichtig ist zu lernen, wie man sich organisiert. Ob alleine oder in Gruppen, sich selbst und gemeinsam mit anderen zu engagieren und zu organisieren ist essentiell.“ Das gelänge in ihren Augen am besten, wenn man es einfach macht und früh ausprobiert. Ganz im Sinne des ECO-Profils.