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Nachruf auf Karlheinz "Kalle" Schach

Wir nehmen Abschied von Karlheinz Schach, den in Marienau alle als „Kalle“ kannten. Kalle war von 1976 bis 2011 in Marienau in Schule und Internat tätig. Er war leidenschaftlicher Biologielehrer, der Orchideen liebte und seine Schülerinnen und Schüler auch gerne mit echtem tierischem Material versorgte - viele Schülergenerationen können sich noch an Bullenaugen im Biologieunterricht erinnern. 1982 gründete er den Pfadfinder-Stamm „Wanderfalken“ in Marienau und leitete sie 29 Jahre lang bis zu seinem Ruhestand.


Stets an Kalles Seite war seine Frau Gerda, genannt Ma, beide waren in Marienau eine Institution. Getreu seinem Leitspruch „Nach vorne schauen, die Vergangenheit können wir nicht ändern, wohl aber unsere Zukunft“ hatte er immer neue Ideen und blickte optimistisch in die Zukunft. Es war ihm ein großes Anliegen, sich für die Umwelt einzusetzen und sie zu erhalten. Nach seiner Zeit als interner Kollege hatten er und Gerda sich im Ortsteil Marienau ein Zuhause aufgebaut, das für viele Pfadis auch weit über ihre Schulzeit hinaus ein fester Anlaufpunkt war. Er galt vielen als Freund, als guter Zuhörer und Ratgeber und hinterlässt bei denen, die ihm begegnet sind, Spuren und lebendige Erinnerungen.

Wir wünschen Kalle auf dem letzten Weg „gut Pfad“ und sind in unseren Gedanken bei seiner Tochter Anja und der großen Wanderfalken-Familie.

Außerdem erreichte uns ein persönlicher Nachruf von Altmarienauerin Sophie Elmenthaler, den wir gerne mit euch teilen möchten: 

Als ich 1994 nach als Interne nach Marienau kam, war ich neun Jahre alt und hatte meine Eltern gerade erst beide an schwere Krankheit verloren. Ich wollte nie Ersatzeltern haben, zu schwer wog der Verlust meiner eigentlichen Eltern, lange ließ ich niemanden an mich heran - auch wenn ich das hinter einer großen Klappe und viel Betriebsamkeit versteckte. Kalle Schach und seine Frau Gerda, von den Pfadis nur Ma genannt, wurden trotzdem so etwas wie Ersatzeltern für mich, soweit das möglich war. Ich war in Kalles Tischgruppe, wurde Mitglied bei den Pfadfindern und ging jeden Dienstag zur Kalles Naturschutz-AG. Später analysierte ich jeden Samstag am kurzen Wochenende Gewässerproben in Kalles Wahlpflichtunterricht und belegte schließlich den
Leistungskurs Biologie bei ihm. Man kann also sagen, dass ich Kalle gut kannte. Dass ich mich bei all den Aktivitäten, die er anbot, so wohl fühlte, hatte sicher zum Teil mit meinen Interessen zu tun. Ich liebte es, raus zu gehen und die Welt zu entdecken. Es hatte aber auch mit Kalle zu tun. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, er hatte ein sehr organisches Verständnis von Pädagogik. Er hielt nichts davon, Kinder und Jugendliche so zu leiten und zu lenken, dass sie bestimmten Kriterien gerecht wurden.

Übersetzt könnte man sagen, er hielt nichts von Erziehung wie eine einem Gewächshaus oder auf einem Acker, wo das Ziel darin besteht, aus einer Pflanzenart nach allen Regeln der Kunst den maximalen Ertrag rauszuholen. Sein Ideal entsprach vielmehr einer wilden Blumenwiese: Gebt den Kindern den richtigen Nährboden, und sie werden sich zu prächtigen Pflanzen aller Art entwickeln, die ohne Düngerzufuhr und Aufsicht gedeihen - die stark genug sind, für sich selbst zu stehen. Und nur so, das wissen alle mit einem gewissen Verständnis von Ökologie, entstehen echte Vielfalt und stabile Ökosysteme. Kalle schaffte mit all seinen Aktivitäten also Bedingungen, in denen ich, in denen wir sein konnten, wie wir waren und gleichzeitig wachsen und über und hinauswachsen konnten. Learning by doing, Lernen mit Kopf, Herz und Hand - die Ideale der Pfadfinderei und der Reformpädagogik passten hier sehr gut zusammen. Und das war wohl das zweite, was mir in Kalles Biotop so zusagte: Die tiefe Überzeugung und Erfahrung, dass ein echtes Miteinander, ein Gefühl von Geborgenheit und Zuhause sein vor allem dann entstehen, wenn man gemeinsam etwas tut. Je mehr, je anspruchsvoller und elementarer, desto besser. Wandern mit den Pfadis, den ganzen Tag, mit Blasen an den Füßen und mit einer Zeltplane auf dem Rücken einen Berg rauf, dann noch gemeinsam Feuerholz sammeln, Feuer machen, das Zelt aufbauen und Essen kochen - und dann am Lagerfeuer singen und Blödsinn machen, da entsteht echte Kameradschaft, eine Verbundenheit, die durch noch so ernsthafte Gespräche, die ja auch meist nur mit Gleichgesinnten geführt werden, kaum zustande kommt. Auch jemand wie ich, zutiefst verletzt, aber hungrig auf Leben, konnte hier Freundschaft und Gemeinschaft erleben.

Unter dem Dach der Wanderfalken hatten alle Platz, die Lust auf Abenteuer hatten, ungeachtet ihres persönlichen oder politischen Hintergrunds, gemäß der ersten Pfadfinderregel „Ich will den anderen achten“. Das galt natürlich besonders, wenn es im Sommer auf Fahrt ging - ja, Kalle und Ma verbrachten sogar freiwillig einen Teil der Sommerferien mit uns, in Irland, Slowenien oder Korsika. Auf jeder Fahrt war es Usus, dass die Sippen genannten Kleingruppen von 4 bis 5 Jugendlichen auch immer ein paar Tage allein unterwegs waren. Da gab es genügend Herausforderungen zu meistern. Auf einer Fahrt in Sardinien etwa, ich war 13, konnten wir nicht an unserem Lagerplatz für die Sippentage bleiben, weil uns Anwohner sagten, der See sei verschmutzt. So beschlossen wir, fünf Mädchen zwischen 11 und 18, die drei Tage einfach zum 45 Kilometer entfernten großen Lagerplatz zurückzuwandern. Unsere Kleinste im Bunde war am Abend des zweiten Tages so müde, dass sie weinte und kaum noch laufen konnte, aber wir hatten noch keinen Lagerplatz gefunden. Schließlich hat sie es wie alle anderen natürlich geschafft. Denn am Ende solcher harten Prüfungen hatten wir immer nicht nur keinen Schaden genommen, sondern sogar eine Menge gelernt und an innerer Stärke gewonnen. Das das wussten auch die Eltern, die sich vor den Fahrten selbstredend immer Sorgen machten, wenn es - natürlich! - in die Berge ging, am Abhang entlang. Aber jedes Mal kamen die Kinder ein Stück selbstständiger, selbstbewusster, über sich hinausgewachsen zurück.

Dass Kalle ein Draufgänger war, wussten auch alle, aber da war ja auch noch Ma, Gerda Schach, seit Teenagerjahren mit diesem Mann verheiratet, und sie wusste, wie man ihn mit Anmerkungen - „Heinz, die Kinder!“ - und Fragen so lange beackert, bis er etwas vernünftiger wird. Sie war die beinahe unverwüstliche Frau an seiner Seite, bis sie nach über 50 Jahren Ehe vor wenigen Jahren leider an Krebs verstarb. Dass Kalle seine Aufgabe als Lehrer und Erzieher mit Bravour meisterte, hing sicher auch damit zusammen, dass er gewissermaßen selbst nie ganz erwachsen geworden ist. Er betrieb seine Projekte mit einem fast schon kindlichen Ernst, wie Nietzsche ihn beschrieben hat, und war sich nie zu schade, sich für die gute Sache buchstäblich auch mal zum Horst zu machen. Ich werde zum Beispiel nie vergessen, wie er einmal im Indianerkostüm in der Schulversammlung aufgetreten ist um auf Umweltzerstörung hinzuweisen. Das war natürlich lächerlich, sogar geschmacklos, aber er verfolgte damit eine ernstzunehmende Absicht. Sein Enthusiasmus für die Natur, das Wandern, seine Pfadis war so ansteckend und überzeugend, dass man ihm seine notorisch mangelnde Kritikfähigkeit und die endlosen Orchideen- und Blumenfotos beim Diasgucken von der letzten Fahrt leicht verzeihen konnte. 

Nach meiner Schulzeit habe ich die Orchideenfotos von Kalle, die er dann auf Facebook postete, sogar doch noch schätzen gelernt: Sie waren gewissermaßen der Beleg dafür, dass bei Kalle alles in Ordnung ist und er genau das macht, was er liebt: Wandern und Orchideen finden. Nun hat Kalle also seine letzte große Reise angetreten, und obwohl ich persönlich nicht an ein Leben nach dem Tod glaube, kann ich nicht anders als mir vorzustellen, dass es in seinem Himmel im Prinzip genauso aussieht, wie er es sich auf Erden auch immer schön gemacht hat: In einer Jurte mit seiner Ma und Freunden, beim Singen am Lagerfeuer auf einer großen Bergwiese, neben der ein Bach plätschert, in dem es Köcherfliegenlarven gibt - was bedeutet, dass man das Wasser trinken kann. So, in Pfadfinder-Kluft mit seiner Gitarre, werden wir ihn alle in Erinnerung behalten. Gut Pfad, alter Freund!