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Obligo mit Philip Schlaffer

Der Mann ist eine Erscheinung, groß, und vor allem Tattoos vom Hals bis zu den Füßen: kräftige Stimme, groß, breitschultrig, tätowiert vom Hals bis zu den Füßen. Und er ist eloquent, direkt, füllt den Raum mit Präsenz. Heute nutzt Philip Schlaffer diese Eigenschaften, um u.a. an Schulen über seine Vergangenheit zu sprechen. Früher ging es ihm nicht um Aufklärung, damals war er eine feste Größe in der Neonazi-Szene, später im kriminellen Rocker-Milieu.


Seine Familie war das, was man gut bürgerlich nannte: Der Vater war erfolgreich im Beruf, hatte viel erreicht, seine Mutter war lange zuhause, kümmerte sich um ihn und seine Schwester, ein liebevolles Elternhaus. Nach der Rückkehr aus Großbritannien, wo die Familie wegen des Berufs des Vaters einige Jahre gelebt hatte, war er einsam, konnte nicht mehr Anschluss finden bei alten Freunden und dem ehemaligen Fußballverein. Die Englischlehrerin sagte ihm, sein Englisch sei kein richtiges Englisch.  Er war wütend, nach zwei Umzügen sauer auf seine Eltern, weil er zweimal aus seinem Umfeld gerissen wurde und neu anfangen musste. Dann lief es auch schulisch insgesamt nicht mehr, wechselte vom Gymnasium auf die Realschule. Er traf sich mit anderen, bei denen es auch nicht lief. „Hass kann man lernen, und wenn Du von morgens bis abends entsprechende Musik hörst, wird Hass Normalzustand für Dich“, so Schlaffer. Er habe nach und nach alle gehasst, auch seine Eltern. Über die Musik entwickelte sich der Hass auf Juden, obwohl er bis er 40 Jahre alt war nie einen Menschen jüdischen Glaubens persönlich getroffen habe.

Der Einstieg in die rechte Szene war für ihn, „dass die mich emotional ansprachen“, sagt Schlaffer heute. Man stellte ihn dort nicht in Frage, im Gegenteil, man sagte ihm, dass er gut sein. Er habe sich schnell radikalisiert: NPD, DVU Deutsche Liga für Volk und Heimat. Seine Schwester zog mit 16 Jahren von Zuhause aus, aus Angst vor ihrem Bruder. Mit 17 Jahren bekam er zum ersten Mal Stadionverbot, mit 18 Jahren hatte er sich auf dem Schwarzmarkt eine Kalaschnikow gekauft, die kurz darauf von einem Sondereinsatzkommando der Polizei beschlagnahmt wurde. Zusammen mit einer Panzerfaust und Handgranaten – alles zur Vorbereitung auf den Tag X, an dem die Rechten groß rauskämen und die Zügel der Macht übernähmen.

Philip Schlaffer wurde eine Größe im kriminellen Milieu im Raum Lübeck. Er war gut vernetzt und sehr umtriebig, baute einen Neonazi-Versandhandel auf für Musik, Klamotten usw., organisiert Konzerte und Demos, hatte mehrere Tattoo-Läden. Von Lübeck bis Wismar verbreitete er Terror, die Leute hatten Angst vor ihm. In dieser Zeit gab es in seinem Werwolf-Shop mehr als 25 Hausdurchsuchungen.

Doch dann begann es bei ihm hinter dieser erfolgreichen, rechten Fassade zu bröckeln. Obwohl er täglich von vermeintlich besten Kumpels umgeben war, deren Namen auch heute noch auf seinem Oberschenkel stehen, vermisste er echte Wertschätzung, überhaupt etwas Echtes.

Dann gab es zwei Ereignisse, die die Lage für ihn veränderten: Zum einen wurde er zuhause von den eigenen Leuten überfallen und mit einer Pump Gun bedroht, zum anderen ereignete sich der sog. Silvestermord von Wismar – eine Silvesterparty, die aus dem Ruder lief und eine Prügelei zum Mord an einem jungen Mann wurde, der Getränke lieferte. Wer nun glaubt, Philip Schlaffer wäre dadurch geläutert worden und hätte allem den Rücken gekehrt, täuscht sich.

Zwar wandte er sich von der rechten Szene ab, wechselte aber 2008 letztendlich nur die Gruppe: Die „Schwarze Schar“ galt als bewaffnete, gewaltbereite Outlaw-Motorrad-Gang, die in der organisierten Kriminalität besonders im Rahmen der Wohnungsprostitution aktiv war und 2014 verboten wurde. Schlaffer hatte eine Türsteherfirma, er war in dem, was er tat, erneut sehr erfolgreich. Er machte viel Geld und genoss hohes Ansehen im Milieu. 2011 wurde er verhaftet, aber nach 6 Monaten aus der U-Haft in Berlin-Moabit entlassen, weil die Zeugen sich nicht trauten gegen ihn auszusagen. Danach war er auf dem Höhepunkt seiner Macht, was auch hieß, dass er offen durch die Kriminalpolizei beobachtet wurde. Viele Hunderte kamen zu ihm, wenn er Geburtstag hatte, aus ganz Norddeutschland. „Das macht was mit dir, wenn so viele Rocker aus allen Clubs extra zu Dir fahren, weil Du Geburtstag hast. Du fühlst Dich unschlagbar, als wärst Du der Geilste überhaupt“, berichtet Schlaffer. „Aber ihr könnt ja mal raten, wie viele davon mir geschrieben haben, als ich 2014 erneut im Knast saß.“

Mit der Zeit ging es Philip Schlaffer schlecht. Schlafstörungen, Angstzustände, Panikattacken. „Ein Arzt sagte damals, er könne nichts für mich, es sei mein Leben, das mich krankmache. Ja klasse, was sollte ich damit? Als Präsident einer der einflussreichsten Motorrad Clubs kann ich das nächste Ding nicht mehr drehen, weil ‚Sorry, Jungs, ich habe Migräne?‘ Wie soll das gehen“, fragt Schlaffer. „Ich hatte Gangster-Burnout. Klingt völlig absurd, war aber für mich keineswegs lustig.“ Er stieg aus und wurde sechs Monate später wegen illegalen Drogenhandels verhafte und zu drei Jahren Haft verurteilt.

„Die Freiheit zu verlieren ist beschissen“, sagt Schlaffer. „Ich habe mich auch im Knast von den anderen isoliert, ich hatte verstanden, dass das meine Chance war, aufzuhören. Denn es wäre ein Leichtes gewesen, im Knast einfach weiter zu machen. Aber ich war fertig.“ Er suchte in der Haft Psychologen und Seelsorger auf, machte eine Therapie kriegte sein Leben in den Griff. Er nahm wieder Kontakt mit seiner Familie auf. “Und die machte das, was am allerwichtigsten war: Sie empfingen mich mit offenen Armen. Es rührte mich, dass meine 70jährige Mutter, die zwischenzeitig an Krebs erkrankt war, mich in der Haft besuchen kam.“

Seine Transformation ist beachtlich. Schlaffer hat seine Vergangenheit nicht verleugnet, sondern sie als Ansporn genommen, sich für positive Veränderungen einzusetzen. Er nutzt seine persönliche Geschichte, um vor den Gefahren von Extremismus zu warnen. Schlaffer ist ein Beispiel dafür, wie Menschen ihre Überzeugungen ändern können und Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen können. Wir verdanken diesen besonderen Abend unserer Zusammenarbeit mit der Friedrich-Naumann-Stiftung und schätzen die vielen inspirierenden Begegnungen, die Christoph Giesa der Marienauer Gemeinschaft immer wieder aufs Neue ermöglicht.